Eine Stunde Nichtstun

Einfach mal nichts tun!

Als mein Alltag noch normal verlief, habe ich mich danach gesehnt. Nun hocke ich zu Hause und hätte endlich Zeit für das Nichtstun. Doch so richtig Freude will nicht aufkommen. Wie kann es also gelingen, einfach mal genußvoll nichts zu tun?

Vor einigen Jahren habe ich einmal ein Experiment “Eine Stunde Nichtstun” gestartet und eine Kurzgeschichte darüber verfasst.

Viel Spaß!

Eine Stunde Nichtstun

„Einmal zu mir selber kommen, einmal nur ich selbst sein!“, hatte sie gedacht.

Das Räderwerk des Alltags hielt sie gefangen, und manchmal hatte sie das Gefühl, dies würde sich nie ändern. Dann kam ihr in den Sinn, dass sie es ja in der Hand hätte, etwas zu ändern.

Jedem Menschen stand eine Pause zu – egal ob Angestellter oder Selbständiger. Auch als Schüler oder Hausfrau hatte man das Recht auf eine Pause.

„Zeit, Zeit für mich!“ Sie war freiberuflich tätig und beschloss, ihre Pause ab heute anders zu gestalten. Sie beschloss, ab jetzt eine Stunde am Tag nichts zu tun.

So saß sie am folgenden Tag in der Mittagszeit auf ihrem Lieblingssessel ihres kleinen Büros mit Blick in den Garten. Sie freute sich auf diese Stunde. Diese Stunde gehörte ihr – ihr ganz allein.

„Eine Stunde Nichtstun. Still sitzen – einfach nichts tun“, dachte sie.

„Aus dem Fenster schauen – beobachten.

Lesen? Nein – nichts tun.“ Wohlig streckte sie sich auf ihrem Sessel.

„Wie verschiedenartig die Vögel vor dem Fenster doch sind.

Was habe ich heute Nachmittag noch zu erledigen?

Nein – nicht an die Arbeit denken – nichts tun.“

Langsam kam ihr Körper zur Ruhe, und ihre Gedanken schienen immer lauter zu werden.

„Der Nebel hüllt die Bäume in einen grauen Schleier.

Es sieht gespenstisch aus, wie im Märchen.

Ob ich mir einen Kaffee hole?

Nein, nichts tun. Still sitzen – schauen – nichts tun.“

Wie lange hatte sie so nicht mehr gesessen? Lässig im Sessel, einfach faul.

„Ob ich nicht doch lieber mit der Arbeit weitermache?

Nein, nichts tun – eine Stunde für dich. Genieße sie.

Welch kostbares Geschenk, doch ist die Zeit nicht verschenkt?“

Das dunkle Holz der Bäume im Garten bildet an diesem trüben Januarmittag einen verschwommenen Kontrast zu dem grauen Nebelschleier.

„Es ist so trübe – so traurig. Wie weit kann man sehen? 50 Meter. Dahinter liegt alles im Geheimnisvollen. Wie im Leben, wir können immer nur einen Bruchteil unserer Wegstrecke sehen, dahinter ist Nebel.

Vielleicht sollte ich die Zeit für ein Schläfchen nutzen?“ Wieder meldete sich ihr Verstand. Unruhig rutschte sie auf dem Sessel hin und her.

„Nein, schlafen ist nicht nichts tun“, sagte sie sich. „Einfach sitzen und schauen – nichts tun …

Wie schnell sich das Leben ändert. Manchmal steht man morgens mit ganz vielen guten Vorsätzen auf, und dann reicht ein Anruf, und der ganze Tag gerät durcheinander. Gerät er wirklich durcheinander? Oder habe ich nur das Gefühl, dass er durcheinander gerät, weil ich dem Tag eine feste Struktur verpassen will. Vielleicht gefällt dem Tag meine Planung nicht, und deshalb sucht er sich eine andere.“

Sie schmunzelte. Konnte es sein, dass dem Tag ihre Planung nicht gefiel?

„Wenn das so ist, dann macht er sich seine eigene Planung, und ich brauche mich nicht zu wundern, wenn bei mir alles durcheinander gerät“, spann sie den Gedanken weiter.

„Oje, was für Gedanken. Vielleicht sollte ich doch lieber lesen, dann würden in meinem Kopf nicht so merkwürdige Gedanken entstehen“, überlegte sie.

„Nein, nichts tun. Du wirst es doch wohl schaffen, eine Stunde nichts zu tun. Einfach nur zu sein. Hier zu sein und nichts zu tun. Hellwach zu sein und sich nicht mit anderen Dingen zu beschäftigen – einfach nichts tun“, rief sie sich zur Ordnung.

„Die armen Menschen, die so viel Langeweile haben. Ich habe nie Langeweile, das habe ich mir schon als Jugendliche abgewöhnt. Wenn ich einmal etwas Zeit übrig habe, lese ich einfach. Doch jetzt darf ich nicht lesen, ich will einfach ja nur nichts tun.“

Alles war still, sie hatte es so gewollt. Kein Radio, kein Telefon, keine Kinder, keine Ablenkung – einfach nur sein.

„Dort fliegt eine Krähe, die Meise sitzt wieder auf dem Baum vor dem Fenster. Da, zwei Tauben. O Mann – was soll das denn bringen? Ob die Vögel auch Langeweile haben? Ob sich die verschiedenen Vögel untereinander verstehen? Oder sprechen sie verschiedene Sprachen, vielleicht Krähisch oder Taubisch?“

Jetzt reichte es ihr. Sie schaute zur Uhr. Noch zehn Minuten. Was kann man denn tun, wenn man mal nichts tut? So schwierig hatte sie es sich nicht vorgestellt.

„Die Fenster müssten auch einmal wieder geputzt werden. Nicht jetzt – noch zehn Minuten – zehn Minuten nichts tun.“

Sie hielt es nicht mehr aus und sprang auf. Vielleicht sollte sie es morgen noch einmal versuchen. So schwierig konnte es doch nicht sein. Einfach mal nichts zu tun.

 

Aus dem Buch “Die Suche nach dem Taggeheimnis”