Heute habe ich etwas Nachdenkliches für Euch. Es geht um das Thema “Selbstoptimierung”.
Ich halte diesen Trend für sehr bedenklich, daher will ich den Begriff und seine Wirkung einmal etwas näher beleuchten.
Als Frau ist man angehalten, sich stets selbst so zu optimieren, dass man perfekt funktioniert, egal ob für den eigenen Anspruch oder für die Augen der anderen. Im Beruf, im eigenen Gesundheitsmanagement, im Familienleben, stets folgt man dem Ansporn, effektiver und besser werden zu müssen.
Etwas optimieren bedeutet: Der vorherrschende Zustand ist unzureichend. Daher muss er verbessert werden. Wäre der Zustand ausreichend oder gar perfekt, bestände kein Bedarf an einer Optimierung also Verbesserung.
Wenn ich mich also selbst optimieren will, gehe ich davon aus, dass die Person, die ich bin, unzureichend und damit verbesserungsbedürftig ist.
Ich als Person bin also irgendwie falsch.
Man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen. Ich, das Wertvollste was ich habe, deklariere ich als irgendwie falsch. Gleichzeitig entsteht das Gefühl: Ich bin unzureichend, denn ich muss ja optimiert werden.
Na super. Fortan spaziere ich mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit durch den Alltag. Die Folge: Wenn ich mich unzureichend fühle, denke ich, die anderen, u. a. die Werbung, könnten ja vielleicht recht haben, wenn sie behaupten, an mir oder meiner Person gäbe es Verbesserungsbedarf.
Auch, wenn ich mich eigentlich ganz okay finde, hege ich den Verdacht, ich könnte mich irren, denn ich bin ja optimierungsbedürftig. Und schon sind der Fremdbestimmung und der Manipulation Tür und Tor geöffnet.
Spaziere ich als vermeintlich fehlerhaftes Menschenkind durch die Welt, befindet sich mein Selbstvertrauen auf Abwegen, gefolgt vom gesunden Selbstbewusstsein.
Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmtheit sind jedoch die Grundpfeiler der Resilenz, der Kraft, die mir hilft meine Alltagsprobleme zu meistern und angemessen mit Herausforderungen und Krisensituationen umzugehen.
Hinzu kommt: Befindet sich der Mensch in einem Selbstoptimierungsprozess, konzentriert sich sein Denken und Handeln permanent auf sich selbst. Das kostet Kraft. Die Folge: Ausreichende Kapazitäten für andere Aufgaben stehen kaum zur Verfügung. Das kann sogar so weit gehen, dass Alltagsaufgaben nicht mehr angemessen angepackt werden.
Eine gesteigerte ICH-Zentrierung lässt wenig Raum für die Probleme der Mitmenschen. Für die Mitgestaltung von wichtigen Veränderungen im Gemeinwesen fehlt es an Zeit und Kraft.
Gemeinsam etwas erleben, gestalten und etwas zum Guten bewegen, erzeugt ein Gefühl der Bereicherung und der Zufriedenheit. Will ich auf dieses gute Gefühl wirklich verzichten?
Auch für mich war der Gedanke, ich bin perfekt so wie ich bin, am Anfang ziemlich seltsam.
Ich bin und so wie ich bin, bin ich gut. Alles, was mich ausmacht, ist für den jetzigen Moment ausreichend.
Zu leben heißt, wir befinden uns in einem permanenten Veränderungsprozess. Mit jedem Einatmen und jedem Ausatmen passiert etwas. In jeder Minute schreiten wir auf der Lebenslinie voran, laufen Alterungsprozesse ab. Evolution bedeutet Veränderung. Fehler werden gemacht, Erkenntnisse gewonnen, neue Strategien ausprobiert, Neues erforscht, neue Gewohnheiten erlernt.
Obwohl ich so bin, wie ich bin, dreht sich die Welt weiter. Und doch weiß ich, auch wenn sich mein Umfeld, meine Lebensphasen oder meine beruflichen Wünsche ändern, bin ich in der Lage, darauf angemessen zu reagieren.
Durch mein Leben in einer sich stetig verändernden Umwelt kann ich gar nicht anders, ich verändere mich mit. Ich reagiere auf Situationen, ändere mein Verhalten. Ich passe meine Strategien an, wenn die alte Vorgehensweise nicht zielführend war. Bewusst und unbewusst gleiche ich mich den veränderten Rahmenbedingungen an.
Diese Veränderungsprozesse kann ich aktiv unterstützen. Wenn ich zum Beispiel merke, dass ich Eigenschaften habe, die mir nicht guttun, kann ich andere positive Verhaltensweisen trainieren.
Ich, zum Beispiel, musste erst lernen, Geduld zu haben. Innerlich bin ich ein sehr ungeduldiger Mensch. Habe ich mir etwas in den Kopf gesetzt, will ich es sofort umsetzen.
Für größere Vorhaben muss man aber manchmal lange sparen. Gewicht zu reduzieren, passiert nicht mit einem Fingerschnipp. Ein Buch zu schreiben kann Jahre dauern.
Es ist kein einfaches Unterfangen, Geduld zu üben. Eine noch größere Herausforderung ist es, Geduld mich sich selbst zu haben. Der Lohn dieser Mühe ist jedoch ein Erfahrungsgewinn, den einen keiner nehmen kann.
Durch meine Mühe, wurde mein Leben bereichert. Ich bin reicher geworden.
Genauso ist es mit dem Lernen. Jedes Mal, wenn ich etwas hinzulerne, wird dem, was ich bin, etwas hinzugefügt. Ich erhalte einen Zugewinn.
Die Rede ist hier vom ganz normalen Alltag, in dem wir leben und in dem uns eingeredet wird, wir müssten dies und jenes tun, um uns zu optimieren, denn so wie es ist, ist es nicht richtig, sind wir noch nicht perfekt.
Perfektionismus kostet Kraft. Ich als Mensch bin nicht perfekt, kann es niemals sein. Denn wer legt die Messlatte für dieses Streben fest? Wer bestimmt, was perfekt ist?
Als Lebewesen habe ich das Privileg im Unperfekten perfekt zu sein, immer im Veränderungsprozess befindlich – genau richtig.
Das gilt für mich und für jedes andere Lebewesen.
Selbstoptimierung ist etwas anderes als Selbstentwicklung. Bei der Selbstentwicklung geht es darum, das eigene Leben und Handeln besser zu verstehen. Selbstentwicklung ist Persönlichkeitsentwicklung. Und so manches Betrachten der eigenen Persönlichkeitsanteile führt zu Erkenntnisgewinn. Erkenntnisgewinn ermöglicht immer, neue oder andere Möglichkeiten nutzen zu können.
Da haben wir ihn wieder – den Gewinn. Es ist Bereicherung, kein Mangelausgleich.
Ich jedenfalls habe beschlossen: Ich muss mich nicht optimieren. Ich bin, so wie ich bin, genau richtig.
Fazit:
Selbstoptimierung hört sich gut an, ist aber eine Falle, weil es dazu führt, an sich selbst zu zweifeln und damit das Selbstbewusstsein geschwächt wird.
Selbstvertrauen heißt sich selbst zu vertrauen! Das ist nur möglich, wenn ich mich nicht permanent in Frage stelle.